Als Schopenhauer Mitte März 1820 einzog, hieß
die Straße noch Letzte Straße. Ohnedies hatte der genius loci
an diesem Ort Namensänderungen über sich ergehen zu lassen,
die in solcher Hast selbst in einer so schnelllebigen Metropole wie Berlin
eher ungewöhnlich sind. Zunächst hieß sie Hintere Gasse,
dann Letzte Straße, seit 1822 Dorotheenstraße, zu DDR-Zeiten
Clara-Zetkin-Straße (1857 bis 1933; Kommunistin
und 1932 Alterspräsidentin des Reichstages). Nach der Wende mutierte
der Name zurück in Dorotheenstraße, was die Alten Genossen
von SED/PDS in ganz furchtbar in Harnisch brachte. Zurück zu Schopenhauer:
Er hatte seit 1811 Philosophie bei Johann Gottlieb
Fichte (1762 bis 1814) studiert, überwarf sich 1812 mit seinem
Professor und floh vor den heranrückenden Truppen Napoléons
nach Weimar. Nach seiner Promotion in Jena (1813) hatte er in Dresden
als Kaufmann gelebt. Sein väterliches Erbe ermöglichte es, dass er in jenen Jahren "nebenbei" an seinem Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" arbeiten konnte. Trotz dieser gesicherten Vermögensverhältnisse bezog er ein sehr bescheidenes möbliertes Zimmer. Die erfolgreiche Habilitation an der Berliner Universität konnte ihm nicht darüber hinweghelfen, dass sein Hauptwerk von Experten beachtet wurde, aber als Ladenhüter unverkäuflich blieb. Sein unglücklicher Verleger musste "das Zeug" als Altpapier verhökern. So mancher Salzhering trat seinen letzten Weg in einem echten Schopenhauer an und war sich des Ehrenden möglicherweise gar nicht bewusst. Der chronische Pessimist ("Das Leben ist eine mißliche Sache") blieb zehn Jahre in der Stadt, zog vorübergehend zwar aus der Letzten Straße fort, um aber zwischen 1828 und 1829 in das Haus 30 der nun nach Kurfürstin Dorothea benannten Straße zu ziehen. Überzeugt, dass das Leid der Welt nie ein Ende nehmen könne, lebte er seit 1831 zurückgezogen in Frankfurt am Main. |